Umgedacht: Warum eine Ärztin eine weitere Therapieoption suchte und die Homöopathie fand
Dr. Nicole Schweitzer (52) arbeitete neun Jahre im größten zertifizierten Brustzentrum Berlins, in dem es neben der chirurgischen Intervention im Rahmen von interdisziplinären Tumorkonferenzen zu erörtern und zu entwickeln galt, welches die bestmögliche unterstützende Therapie für die Patientinnen darstellte. Für Dr. Schweitzer war dies immer eine sinnvolle und befriedigende Aufgabe gewesen, doch bedauerte sie, dass das straffe tägliche Curriculum nur selten Raum für eine tiefere Arzt-Patienten-Begegnung bot. Vor einem Jahr hat sie ihre ärztliche Weiterbildung Homöopathie mit der Prüfung vor der Berliner Landesärztekammer abgeschlossen und ihre Praxis in Berlin-Charlottenburg eröffnet.
Wie lange arbeiten Sie schon als Ärztin?
Seit etwa zehn Jahren – ich habe erst im Alter von 35 Jahren angefangen Medizin zu studieren und mit 42 Jahren mein Examen gemacht. Zuvor habe ich Betriebswirtschaft studiert und in diesem Bereich gearbeitet.
Und dennoch war es schon immer Ihr Traum, Ärztin zu werden?
Ja, als ich acht Jahre alt war, wollte ich unbedingt Kinderärztin werden. Jeden Abend habe ich mir den Gesundheits-Brockhaus meiner Eltern mit ins Bett genommen und mit einer Taschenlampe heimlich unter der Bettdecke in der ersten Nacht alle Krankheiten mit „A“ gelesen, in der nächsten alle mit „B“ und so weiter.
…aber Sie haben die Verwirklichung Ihres Traums ein wenig herausgezögert. Warum?
Ja, das stimmt. Als junger Mensch fühlte ich mich einfach noch nicht reif genug für die Verantwortung, die wir als Ärzte tragen. Ich habe aber nie aufgehört, von der Medizin zu träumen.
Und sind schließlich doch noch Ärztin geworden.
Genau wie meine Bettlektüren als Kind hat mich dann Jahre später das lang ersehnte Medizinstudium an der Berliner Charité von der ersten bis zur letzten Vorlesung begeistert – ich habe es als großes Privileg empfunden, dieses wundervolle Studium als inzwischen gereifte Erwachsene absolvieren zu dürfen und diese intensive Zeit des Lernens unendlich genossen.
…was begeisterte Sie so?
Ich fand damals wie heute das höchst spannende Wunderwerk Mensch extrem faszinierend und hatte mich schon immer gefragt, durch welche Umstände krankmachende Prozesse in einem so klugen Selbstregulierungssystem überhaupt begünstigt und in Gang gesetzt werden können. Und wie und warum diese in der Lage sind, eine derartige Eigendynamik zu entwickeln, dass dadurch tiefgreifende, nicht umkehrbare Schäden entstehen können, die für den Organismus aus eigener Kraft nicht mehr beherrschbar sind. Im Gegensatz zu heute war mir damals noch nicht annähernd klar, wie stark Physis und Psyche miteinander interagieren und wie sehr jegliche in unserem Leben auftretenden Symptome beim Wort genommen und verstanden werden müssen.
Sie haben durch Ihre tägliche Praxis erfahren, dass Sie eine andere Art der Medizin meinten?
Ja, genau. Ärzte und Patienten sollten im aufmerksamen Miteinander die Gesunderhaltung im Fokus haben, statt erst dann einzugreifen, wenn der Mensch krank ist. Es gilt, Krankheitsursachen bereits in ihrer Entstehung zu erkennen, dazu gehören auch Probleme im Job oder in einer Beziehung. Wir müssen dafür sorgen, dass sich tiefgreifende Schäden erst gar nicht manifestieren können.
Sie haben sich auf die Suche begeben und die Homöopathie entdeckt…
Ich habe mich aus einem ganz persönlichen Grund für die Homöopathie entschieden, da ich schon seit langem immer wiederkehrende Rückenschmerzen hatte, die sich durch regelmäßige orthopädische Intervention sowie Physio- und manuelle Therapie zwar kurzfristig besserten, aber nie nachhaltig geheilt werden konnten. Im Dezember 2015 wandte ich mich deshalb schließlich an Peter Raba aus Murnau, der mir als einer der ältesten und erfahrensten Homöopathen Deutschlands empfohlen worden war. Von ihm erhielt ich mein homöopathisches Konstitutionsmittel, das mich binnen kürzester Zeit von jeglichen Rückenschmerzen befreite und mir darüber hinaus den Impuls für den Beginn einer spannenden inneren Reise meiner Persönlichkeitsentwicklung gab, die mich seit dieser Zeit gestärkter und selbstwirksamer durchs Leben gehen lässt.
Und nun wollten Sie sehen, was die Homöopathie ausmacht…
Genau, ich wollte wissen, was ist Homöopathie überhaupt, was steckt dahinter, was macht sie mit einem und wie kann ich sie auch bei meinen Patienten anwenden. Ich habe beim Berliner Verein homöopathischer Ärzte die Weiterbildung Homöopathie absolviert und meine Prüfung Anfang Februar 2018 bei der Ärztekammer abgelegt. Einen Monat später habe ich meine eigene Praxis für Homöopathie und Integrale Medizin eröffnet.
Wie arbeiten Sie heute?
Entsprechend der individuellen Situation und Symptomatik, mit der der Patient zu mir kommt, pflücke ich aus dem großen bunten Strauß unserer medizinischen Vielfalt das, was sowohl aus konventioneller als auch aus komplementärmedizinischer Sicht für eine sinnvolle und notwendige Therapie spricht. In der Homöopathie geben wir im Idealfall einmal den entscheidenden Anstoß und das gesamte System Wunderwerk Mensch erhält die Möglichkeit, das Zusammenspiel der aufeinander abgestimmten Zahnrädchen unseres Uhrwerks neu zu justieren. Diese Funktionsweise stellt den entscheidenden Unterschied zur konventionellen Medikamentenwirkung dar. Im Falle einer Schilddrüsenunterfunktion beispielsweise muss dieses Organ jeden Morgen wieder aufs Neue angeschubst werden.
Integrale Medizin, was verstehen Sie darunter?
Integrale Medizin ist für mich die Kombination von konventioneller und komplementärer Medizin – ohne Ausgrenzungen, fließend. Ich gehe dabei tief in die Geschichte des Patienten ein, frage nach, wann die ersten Anzeichen spürbar waren, welches Erlebnis oder Ereignis hat ihn geprägt, welche Traumata liegen vor – all dies gilt es aufzudecken. Wir nehmen uns die Zeit, wir nehmen uns den Raum und packen das Problem bei der Wurzel. Das ist im Grunde nichts weiter als die von Samuel Hahnemann geforderte ausführliche homöopathische Anamnese zur Erfassung der Gesamtsituation, basierend auf dem alten Leitsatz, den Patienten mit allen Sinnen zu erfassen.
…und die Rolle der Patienten?
In der ganzheitlichen Medizin ist der Patient ein aktiver Partner in der Patienten-Arzt-Beziehung. Oft aber wollen die Patienten die Verantwortung komplett an den Arzt abgeben und haben den Anspruch „Der Arzt ist der Fachmann, der hat doch schließlich so lange studiert und soll die Krankheit nun bitte wegmachen!“ Wir brauchen jedoch mehr denn je mündige Patienten in unseren Praxen, mündige Menschen in unserer gesamten Gesellschaft. Immanuel Kants Leitspruch aude sapere, „Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“, ist auch der Anspruch Hahnemanns, den er uns in seinem Organon der Heilkunst vermittelt.
Wie hat Ihr Umfeld reagiert, als sie sich „neu erfunden“ haben?
Meine Familie, meine Freunde, aber auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben sofort gesagt: „Wow, mach das, das ist genau Dein Ding!“ Manche fanden es auch mutig, da ich ja erst mit 42 Jahren Ärztin geworden war und mich nun nach neun Jahren Krankenhauserfahrung auf diese neue medizinische Reise begeben wollte Ich habe das gar nicht so empfunden, für mich war das eher eine fließend dynamische, konsequente Weiterentwicklung meines Verständnisses davon, wie ich medizinisches Arbeiten verstehe.