Als Ärztinnen und Ärzte stehen wir ebenso wie Apothekerinnen und Apotheker fest auf dem Boden einer wissenschafts- und evidenzbasierten Medizin, sofern diese auch die persönliche Berufserfahrung und die Wünsche der Patientinnen und Patienten angemessen berücksichtigt. Den Antrag der Berliner Apothekerkammer auf dem Deutschen Apothekertag 2022 – er findet vom 14.-16. September statt – die Homöopathie als Weiterbildung für Apothekerinnen und Apotheker zu streichen, lehnen wir entschieden ab.
Im Miteinander unserer beiden Berufsgruppen muss jederzeit die Patientensicherheit im Zentrum stehen. Deshalb haben wir regional und bundesweit die Förderung einer hochqualifizierten Beratungskompetenz von Apothekerinnen und Apothekern personell und ideell mit unseren Möglichkeiten unterstützt. Das resultierende Beratungs- und Kompetenznetz zum Thema „Homöopathie“ stellt für Apothekenkunden eine wertvolle und zentrale Basis für kohärente Informationen rund um Globuli und Co. dar und bietet zugleich die Gewähr, dass sich Menschen sicher aufgehoben fühlen, wenn sie sich für Homöopathie entschieden haben.
Im Antrag der Apothekerkammer Berlin sehen wir den Versuch, Homöopathie längerfristig und an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei unerreichbar zu machen. Das ist kontraproduktiv und bedroht die Patientensicherheit:
- Der Anteil der Selbstbehandlung ist im Bereich Homöopathie hoch. Rund 90 Prozent der apothekenpflichtigen homöopathischen Arzneien werden ohne ärztliche Verordnung gekauft. Hier kommt den Apothekerinnen und Apothekern eine Schlüsselstellung hinsichtlich fachlicher und sicherheitsrelevanter Beratung, unter Umständen auch der Kontrolle und Korrektur von Patientenwünschen zu. Fällt diese notwendige Beratung weg, wird Homöopathie zu dem, was ihr so oft vorgeworfen wird: sie wird „gefährlich“. Aber nicht als Therapiemethode, sondern durch ihre nicht qualifiziert beaufsichtigte Anwendung. Das kann weder im Interesse der Ärzte noch der Apotheker und auch nicht im Sinne kranker Menschen sein.
- Homöopathische Arzneien werden auf Grund der methodologischen Besonderheit ohne Begleitinformationen abgegeben. Diese Besonderheit liegt in der individuellen Verordnung nach der Simile-Regel und dem teilweise breiten Wirk- und damit auch Indikations-Spektrum der Einzelarznei andererseits. Patienten können sich daher – anders als bei herkömmlichen konventionellen oder auch pflanzlichen Medikamenten oder Zubereitungen – weder über Anwendungsregeln, Dosierung, Kontraindikationen oder andere sicherheitsrelevante Aspekte informieren. Fällt in diesem Zusammenhang auch die Kontrolle des aufmerksamen Apothekers weg, dann bewegen sich Patienten in der Grauzone einer „Laienmedizin“.
- Die Antragsbegründung der Apothekerkammer Berlin suggeriert, Homöopathie sei eine unwissenschaftliche Methode. Dadurch werde die Seriosität und Wissenschafts-Basierung des gesamten Berufsstandes der Apotheker untergraben. Tatsache ist: Die noch immer fehlende plausible Erklärung eines Wirkmechanismus homöopathischer Arzneien ist nicht gleich zu setzen mit fehlender Evidenz der Methode! Evidenz im Sinne der Evidenzbasierten Medizin (EbM) fordert nicht den Nachweis des Wirkmechanismus, sondern den Nachweis der Wirksamkeit. Gerade hierzu gibt es aber in den letzten Jahren zunehmend mehr wissenschaftliche Arbeiten aus der Grundlagen- und Versorgungsforschung sowie Einzelstudien. Diese werden entweder ignoriert (weil nicht sein kann, was nicht sein darf?!) oder in unwissenschaftlicher Voreingenommenheit negiert. Wer sich hier – sachlich fundiert, unvoreingenommen oder mit Neugier – informieren will findet im Jahr 2022 zahlreiche Beispiele, die eine Wirksamkeit der Homöopathie über Placebo hinaus belegen. (www.hri-research.org oder www.wisshom.de)
- Die Streichung der „Homöopathie“ aus dem Titel der Musterweiterbildungsordnung zu Gunsten des Begriffes “Phytopharmazie“ wird nicht positiv begründet, was im Sinne der Bedeutung von Phytotherapie durchaus denkbar und nachvollziehbar wäre. Als Begründung wird stattdessen darauf verwiesen, dass Homöopathie bereits ausreichend im Studium der Pharmazie verankert sei. Gilt dies nicht gleichermaßen auch für Phytotherapie? Ohne Zweifel haben beide Teilbereiche ihre eigenen Schwerpunkte, wissenschaftlichen Hintergründe und vordergründige Apothekenrelevanz. Beide werden zusammen mit „Naturheilverfahren“ in weiten Teilen der Bevölkerung geschätzt und im Sinne der Integrativen Medizin gefordert. Warum also sollten nicht alle drei, „Naturheilverfahren“, „Phytopharmazie“ und „Homöopathie“ in einer breit aufgestellten und fundierten Zusatzweiterbildung gemeinsam angeboten werden und das einmal im Studium Gelernte zu einem späteren Zeitpunkt und je nach Neigung und Interessenlage jedes Apothekers /jeder Apothekerin in freier eigener Entscheidung aufgefrischt und vertieft werden können?
Als homöopathisch tätige Ärztinnen und Ärzte appellieren wir an die Delegierten des Deutschen Apothekertages, Homöopathie im Interesse der therapeutischen Wahlfreiheit sowie deren Sicherheit und qualifizierten Anwendung in der Musterweiterbildungsordnung zu erhalten. Dies entspräche am ehesten dem Wunsch und Willen großer Teile der Bevölkerung. Weltanschauliche Voreingenommenheit heilt keine Krankheiten und lindert keine Leiden: das ist allein die Aufgabe verantwortungsvoll agierender und differenziert zwischen den gegebenen therapeutischen Optionen abwägender Ärztinnen und Ärzte in engem fachlichem Austausch mit qualifizierten Apothekerinnen und Apothekern.